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Gäß Schärem

by Peter Steurer last modified 2007-06-06 15:07

Hierher brachten die Bauern aus der näheren Umgebung Anfang Mai ihre Ziegen, die Geißen. Diese Geißhut blieb bis Ende September beisammen. So hatten die Bauern auch im Sommer, wenn alle Kühe auf der Alpe waren, frische Ziegenmilch. Diese Geißen wurden von einem Hirtenbub, dem „Gäßler“, betreut.

Ein solcher „Gäßler“ war der 1933 geborene Lorenzin Hermann, der aus einer kinderreichen Familie kam. Er war schon ab 1944 woanders “Gäßler“, betreute 1949 diese Geißhut und berichtet über seinen Tagesablauf, dass er um 5:30 Uhr aufstand, sein „Gäßler-Marend“ in seinen Rucksack packte - damit ist eine Bierflasche voll Malzkaffee, ein Zipfel Brot und ein Stück Räucherspeck gemeint - und los zog. War ihm das Glück hold, bekam er von einem Geißenbesitzer zusätzlich etwas geschenkt. So erinnert er sich heute noch wohltuend daran, wie ein Bauer zu ihm sagte, er dürfe unter seinem Birnbaum „Rötili“, aufklauben, soviel er an diesem Tage essen könne.

Im „Gäßschärem“, dem Ziegenstall, warteten schon 28 Milchgeißen ungeduldig auf ihren Auszug. Etwa eine halbe Gehstunde taleinwärts, beim „Gätter“, wo in vier „Gäßschärem“ die Ziegerberger und Bitschweiler Geißen untergebracht waren, wuchs seine Geißhut auf 100 Tiere an. Die Zicklein, liebevoll „Gitzi“ genannt, und die Geißen, die keine Milch gaben, blieben am Vorabend auf der Alpe beim „Kobel“ oder beim „Gitzi-Ste“ zurück und warteten hier auf die Geißhut.

Am schwierigsten war das Ziegenhüten im Frühling. Gelang es dem „Gäßler“, die Tiere gut zu erziehen, hatte er den ganzen Sommer seine Ruhe. Die Ziegen brauchten Zeit ums sich aneinander zu gewöhnen und trugen ihre Machtkämpfe aus. Manche Geiß bockte, kehrte einfach um und strebte nach Hause. Um ihre Widerspenstigkeit zu brechen, warf der „Gäßler“ das Tier auf den Rücken und biss ihm kräftig ins Ohr. Das merkten sich die Geißen, und sie gehorchten bis zum Ende der Saison. Vom Alpauftrieb der Kühe an bis zum Bartholomäustag am 24. August durfte keine Geiß auf den Kuhweiden grasen, was der „Gäßler“ oft nicht verhindern konnte, da er ja mit seiner hungrigen Hut durchziehen musste. Dann verabreichte ihm der Kuhhirt ein paar saftige Watschen, und wenn seine Geißen in die Bergmäder gerieten, bekam er von den Mahdheuern dasselbe.

So erlebte er selten Tage, an denen er ohne Ohrfeige nach Hause kam. Er musste also höllisch aufpassen, dass seine Tiere nur oberhalb der Vieh-Weidegänge und außerhalb der Bergmähder grasten. Dort fraßen sie mit Vorliebe die jungen Triebe der „Drooßa“, also Kriecherlen, und hielten damit das Wachstum dieser unliebsamen Pflanzen zurück. Seit es keine Ziegenhut mehr gibt, wuchern diese „Drooßa“ zum Ärgernis für jeden Alpler ins Unermessliche.

Den weitesten Weg legte die Geißhut entlang dem rechten Berghang bis zum Plässeggapaß an der Schweizer Grenze zurück. Dort trat der „Gäßler“ mit seinen Tieren um 16 Uhr den 10km langen Rückweg an, damit er um 19 Uhr wieder beim „Gäßschärem“ ankam, wo bereits Frauen und Mädchen warteten, um die Ziegen zu melken.

Eine gute Geiß lieferte vier bis fünf Liter Milch pro Tag. Für den „Gäßler“ aber war meist noch nicht Feierabend, er hatte für die Bauern noch dies und das zu verrichten und konnte erst um 22 Uhr todmüde ins Bett fallen. Von seinem „Gäßler“-Lohn bekam er selbstverständlich nie etwas zu sehen. Es erfüllt Lorenzin Hermann jedoch heute noch mit Stolz, dass er mit seinem Verdienst dazu beigetragen hat, dass sein Vater im Herbst eine Kuh kaufen konnte.

Hier bei diesem „Gäßschärem“ führte früher der Tobelweg aus dem Gampadelstal vorbei. Dieser Tobelweg war eine wichtige Verbindung, wurde aber vom Hochwasser 1966 an mehreren Stellen unterspült und weggerissen und ist heute nicht mehr begehbar. An einen Neubau ist wegen der akuten Steinschlaggefahr nicht mehr zu denken.


Audiofile

P11_1_Der Gaeßschaerem.MP3
 


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